Initiativ-Antrag zum Sonderparteitag am 01. Juni 2003 in Berlin

1. Es wird beantragt, die Kriterien zur Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG. nicht auf das Alter, die Betriebszugehörigkeit und eventuelle Unterhaltspflichten zu begrenzen, sondern die bisher bestehende Regelung unangetastet zu belassen. Es wird weiter beantragt, es den Betriebspartnern (Arbeitgeber und Betriebsrat) oder den Tarifvertragsparteien nicht zu überlassen im Interesse einer "ausgewogenen Personalstruktur" oder um "sogenannte Leistungsträger" vorrangig berücksichtigen zu können, die Kriterien zur Sozialauswahl entsprechend zu erweitern.
2. Für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das 53. Le-bensjahr vollendet haben und den Betrieb oder dem Unternehmen im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mindestens fünf Jahre angehören, wird beantragt, dass diesen nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann.
3. Weiterhin beantrage ich eine geänderte gesetzliche Limitierung der Mehrarbeit, und schlage vor, Mehrarbeit nur bis zu 20 Stunden im Monat über einen Zeitraum von höchstens drei Monaten aufgrund gesonderter Vereinbarung zwischen den Betriebspar-teien (Arbeitgeber und Betriebsrat) zuzulassen, wonach branchenspezifische Umstände als Ausnahmetatbestände zugelassen werden können. Gesetzlich ist zu fixieren, dass Mehrarbeitsstunden durch bezahlte Freistellung von der Arbeit ausgeglichen werden müssen.


Begründung zu Ziffer 1 des Antrages:

Zunächst möchte ich deutlich machen, dass ich mich der Auffassung der Bundes-regierung sowie des SPD-Bundesparteivorstandes zu notwendigen Reformen grundsätzlich anschließe. Ich unterstütze das Anliegen, den Sozialstaat zu erhalten und aufgrund immer knapper werdender Mittel die Verteilungsgerechtigkeit im Rahmen von Umstrukturierungen zukünftig neu zu gestalten.

Die Anträge begründen sich im Einzelnen wie folgt: Zu 1: Der Kündigungsschutz ist, wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 14.03.2003 ausgeführt hat, eine soziale, ökonomische und kulturelle Errungenschaft in unserer Gesellschaft. Er trägt zur Existenzsicherung von Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern durch Erhalt von Arbeitsplätzen bei. Der Kündigungsschutz muß auch zukünftig im wesentlichen gewährleistet werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein zentrales Interesse dahingehend, den einmal eingenommenen Arbeitsplatz nicht unfreiwillig zu verlieren. Demgegenüber steht das grundsätzliche Interesse der Arbeitgeber an einer möglichst ungestörten Herrschaft über die Arbeitsplätze und zwar sowohl bezogen auf die konkrete Person der/s Arbeitnehmers/in als auch hinsichtlich des Interesses, den Personalbestand je nach konjunkturellen, strukturellen oder saisonalen Schwankungen flexibel zu gestalten. In den USA steht hierfür der Ausdruck "hire and fire". Aufgrund der Verfassungsgrundsätze der Würde des Menschens (Artikel 1 Nr. 1 GG.) und des Sozialstaatsprinzips (Artikel 20 Abs. 1 GG.) muß die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers in dieser Hinsicht jedoch begrenzt bleiben. Aus Arbeitnehmersicht ist es berechtigt, die Regelungen des Kündigungsschutzes als einen wesentlichen Aspekt eines richtig verstandenen Rechtes auf Arbeit anzusehen. Gerade im Hinblick auf die vorgesehene und notwendige Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld sowie auf die beabsichtigte Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, darf eine weitere Aufweichung des Kündigungsschutzes nicht vorgenommen werden. Es ist beabsichtigt - und zum Teil gesetzlich bereits umgesetzt - Betrieben mehr Flexibilität durch Erleichterung von Befristungen bei Neuanstellungen älterer Arbeitnehmer zu verschaffen. Es ist weiter beabsichtigt, dass Existenzgründer befristete Arbeitsverträge ohne sachlichen Befristungsgrund bis zur Dauer von vier Jahren abschliessen können. Diese Gesetzesänderungen tragen zur Entlastung der Wirtschaft bei. Andererseits muß aber auch der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zukünftig gewährleistet bleiben. Durch die Änderung des Kündigungschutzgesetzes im Jahre 1996 wurde die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen unter Aufhebung des Prinzips der Einzelfallprüfung auf Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten reduziert. In die Sozialauswahl wurden die Arbeitnehmer nicht einbezogen, an denen der Arbeitgeber ein betriebliches Interesse äußerte. Ausdrücklich anerkannt wurde das betriebliche Interesse an einer ausgewogenen Personalstruktur. Der Rechtsschutz des gekündigten Arbeitnehmers bezüglich der Sozialauswahl wurde beschnitten, falls es hierfür mit dem Betriebsrat vereinbarte Richtlinien gab bzw. beim Fehlen eines Betriebsrates der Arbeitgeber solche unter Zustimmung von 2/3 der Belegschaft erließ. Abgesehen davon, dass eine verfassungskonforme - am Gesichtspunkt der Einzelfallprüfung orientierte - Gesetzesauslegung gegen diese Änderungen sprach, hat die pauschalierte Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes arbeitsmarktpolitisch nichts bewirkt. Insbesondere ging die Zahl der Arbeitslosen nicht zurück. Das Gegenteil war der Fall. Die Begründung zur Gesetzesänderung der damaligen Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP durch ihre schon immer vertretene These, dass durch mehr Flexibilität die Bereitschaft der Unternehmen zur Neueinstellungen gefördert werde, hat sich als falsch erwiesen. Damals wurde die allgemeine Beschäftigungskrise dazu genutzt, um auf verfassungsrechtlich bedenkliche Weise Arbeitnehmerrechte abzubauen. Letztendlich hatte das Kündigungsschutzgesetz seinen Namen nicht mehr verdient. Aufgrund der damaligen Erfahrungen wurden die Gesetzesänderungen aus dem Jahre 1996 zum 01.01.1999 nach Übernahme der Regierungsmehrheit sofort aufgehoben. Dieses war politisch der richtige Weg. Die Zahl der Arbeitslosen sank, wie die Statistiken belegen, bis zum Jahre 2001. Damit ist erwiesen, dass eine beabsichtigte Änderung des Kündigungsschutzes in den genannten Punkten (ausgewogene Personalstruktur, Herausnahme sog. Leistungsträger u. Begrenzung der Kriterien) nicht zu mehr Beschäftigung und damit auch nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit führt. Wir halten daher die angekündigten Gesetzesänderung für fehlerhaft. Zu 2.: In dem Leitantrag des SPD Bundesparteivorstandes wird darauf hingewiesen, dass rund 60 Unternehmen in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen, die älter als 50 Jahre sind. Nur jede sechste durch Frühverrentung weggefallene Stelle wird wieder besetzt (durch eine/einen jün-gere/jüngeren, Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer). Der SPD Parteivorstand sieht die Tarifvertragsparteien in der Pflicht, besondere Anstrengungen zu unternehmen, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Beschäftigung zu halten und älteren Arbeitslosen neue Chancen zu geben und altersangemessene Beschäftigungsformen zu entwickeln. Wir sind der Auffassung, dass die zuletzt genannte Pflicht nicht den Tarifvertragsparteien obliegt, sondern dem Gesetzgeber. Denn Tarifverträge erreichen nur eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; immer mehr Unternehmen treten aus Arbeitgeberverbänden aus und arbeitsvertragliche Inbezugnahme von Tarifverträgen wird in der Praxis immer seltener. Die Möglichkeit, durch Aufhebungsverträge auch den besonderen Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer, Schwerbehinderter oder Arbeitnehmer/innen im Erziehungsurlaub zu umgehen, muß ebenfalls eingeschränkt werden. Es ist richtig, dass die von der Kohl-Regierung durchgeführte Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes letztendlich zu Lasten der Beschäftigten und der Sozialversicherungskassen und zu Gunsten der Wirtschaft genutzt wird. Die Unternehmen entledigen sich älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Kosten der Solidargemeinschaft und auf Kosten der Beitragszahler. Im Bewußtsein der Bevölkerung und im Bewußtsein der Unternehmen entsteht der Eindruck, dass Menschen ab 50 nicht mehr leistungsfähig sind und das Rentenalter bereits mit 60 Jahren beginnt. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (die nur zu 7 % anwaltlichen Rat in Anspruch nehmen) überschauen die durch vorzeitige Entlassungen zu erwartenden Einkommenseinbußen häufig nicht. Das Einkommen reduziert sich aber durch den Bezug von Arbeitslosengeld und Kürzung der Rente bis 18 % lebenslang. Wenn zu erwarten ist, dass aufgrund der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe die Transferleistungen verringert werden, muß ein Äquivalent zu Gunsten der Arbeitnehmer/innen geschaffen werden. Es ist daher unumgänglich in gesetzgeberischer Kompetenz einen besonderen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten. zu 3.: Immer mehr Unternehmen nutzen Mehrarbeit und Überstunden als Ersatz für mögliche Neueinstellungen. Das Arbeitzeitgesetz bietet nur einen sehr geringen Spielraum bezüglich einer Beschränkung dieser, zwischenzeitlich in der Praxis durchgeführten Übung. Aus diesem Grunde ist eine gesetzliche Regelung dringend erforderlich, um Mehrarbeit und Überstunden zu begrenzen. Nur auf diese Weise kann vorhandene Arbeit gerecht verteilt werden. Andererseits bietet die neue Regelung hinsichtlich der Minijobs die Möglichkeit für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Einkommen zu verbessern. Unternehmen können auf diese Weise den Personaleinsatz flexibel gestalten.