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Letztes Update: Mai 23, 2005 18:10
  "Wir brauchen Leute, die anpacken"

Franz Müntefering spricht als erster SPD-Bundesvorsitzender in der Stadt seit 1971 Villingen : Vatertagsausflug bei strahlend schönem Maiwetter - oder doch zur SPD-Wahlkampf-Veranstaltung in die abgedunkelte Tonhalle? Die Sonne dürfte gestern Franz Münteferings stärkste Konkurrentin gewesen sein. Aber den obersten Genossen einmal persönlich erleben, das wollten sich dennoch viele nicht entgehen lassen: Die Stuhlreihen waren voll besetzt. Immerhin, erinnerte sich der SPD-Ortsvorsitzende Harry Frey, war dies der erste Auftritt eines amtierenden SPD-Bundesvorsitzenden in der Stadt seit Willy Brandts Besuch im Jahre 1971. Oberbürgermeister Rupert Kubon riskierte deshalb gar einen kleinen Ehezwist, um den obersten Genossen trotz anbrechender Pfingstferien in der Doppelstadt begrüßen zu können: "Wir gehen heute auf eine schon länger geplante Reise, und da wollten wir eigentlich früh losfahren", gestand er dem amüsierten Publikum. Nun, die Begrüßung musste aber doch noch sein. Schließlich wollte Kubon als SPD-Oberbürgermeister im Wahlkreis des CDU-Ministerpräsidenten doch Flagge zeigen. Danach verabschiedete sich der Rathauschef sogleich: "Wenn wir jetzt losfahren, ist es ja noch vor 12 Uhr, also immer noch früh." Franz Müntefering war dagegen superpünktlich. "Dem Rupert" hätte er ja noch gerne Dank gesagt, meinte er schmunzelnd zum Auftakt seiner Rede, aber er wolle ja nicht, dass der mit seiner Frau noch mehr Ärger kriege: "Wenn die jetzt erst losfahren, kommen die überall in Staus - aber das wird der Rupert schon noch merken." Müntefering hatte die Lacher auf seiner Seite. Dann aber ging der oberste Genosse schnörkellos auf die ernsten Themen ein, die den Sozialdemokraten im Umfragetief und kurz vor den Europa- und Kommunalwahlen am 13. Juni auf den Fingern brennen dürften. Und das hieß offenbar vor allem, zu motivieren, angeknackstes Selbstbewusstsein wieder aufzurichten und Mut zu machen für den Wahlkampf. Gerade die Gemeinde- und Kreisräte sowie Kandidaten im Publikum, angereist auch aus den Nachbarlandkreisen, dürften da gut zugehört haben. Müntefering pries die Bedeutung der Kommunalpolitik als "gleichberechtigte Säule" neben Bundes- und Landesebene", sie sei eben "nicht das Kellergeschoss der Politik". Der SPD-Bundesvorsitzende räumte ein, dass "Kommunalpolitik zur Zeit nicht ganz einfach ist, es gibt ja kein Geld zu verteilen." Ja, es würden Fehler gemacht, auch bei der SPD. Und darüber "zerreißen sich dann viele das Maul, statt sich selbst einzubringen", wetterte Müntefering. "Aber wir brauchen keine Besserwisser." Das Land brauche Leute, die mit anpackten. Müntefering erntete am Ende kräftigen Applaus, nach und nach erhoben sich die Zuhörer gar von den Sitzen. Das entsprach wohl auch den Hoffnungen der SPD-Kreisvorsitzenden Beate Schmidt-Kempe: Sie hatte die Promi-Visite bereits vor einigen Monaten bei einem Müntefering-Auftritt in Trossingen spontan eingefädelt. Seine Worte fand sie "so klar und motivierend, dass ich dachte, das brauchen wir in Villingen auch." Zum Dank gab's für Müntefering einen Korb Schwarzwälder Spezialitäten - selbstgebranntes Kirschwasser des SPD-Kreisrats Lukas Duffner vom Reinertonishof in Schönwald, Speck und Schinken und Wurst. Und einen Wecker vom Schwenninger Uhrenindustriemuseum. Den brachte Müntefering gleich zum Klingeln und meinte lachend: "Der läutet fünf vor Zwölf". Weil der nächste Termin in Freiburg danach schon drängte, entfiel die geplante Podiumsdiskussion. Im Foyer gönnte sich "Münte" noch ein Zigarillo.

(Südkurier 20.05.2004)
 
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